Linda Graf: Die Tage, die Dinge

von Samuel Hamen
Juni 11, 2016 / 0 Kommentare

Mit der Buchgestaltung fängt es an: rosa Streifen auf dem Coverbild, dann der ebenfalls rosa Titel „Die Tage, die Dinge“ auf dem Buchdeckel, zuletzt drei lila Lesebändchen. Es wirkt so, als hätte sich die Designabteilung von „Kremart“ für das Layout von Linda Grafs neuem Erzählband bei „Ferrero“ umgeschaut: Der Hersteller von Schokolade bietet seit einigen Jahren Ü-Eier an, die sich vorwiegend an Mädchen richten. Die Verpackungen sind – Sie ahnen es – rosa, und als Spielzeug gibt es meistens Prinzessinnen und Ponys sowie Bürsten für deren Miniaturhaarschöpfe. Die Frage liegt also nahe: Was für eine Überraschung erwartet den Leser im Innern von Grafs fünftem Prosawerk?

Die ausführliche Antwort lautet: Es geht in Grafs acht lose miteinander verknüpften Kurzgeschichten um die Irrungen und Wirrungen von fünfzehn Erwachsenen, die sich verlieben, zerstreiten, versöhnen oder verkrachen. Laut Klappentext ist es Grafs Anliegen, „die Menschen in all ihren Widersprüchen“ zu zeigen, ihr Leben „zwischen Hoffnung und Zorn, zwischen Versöhnung und Liebe“ zu beschreiben. Hierfür entwirft sie ein beeindruckendes figürliches Netzwerk: Edith beispielsweise ist als einsame Krankenschwester in Renato verknallt, der aber hat sich in Lynn verliebt, deren Freundin Lisa wiederum eine Affäre mit Marc hat. Dann gibt es noch Irene, deren Mutter, Colette, eine Affäre mit Cliff, dem Vater ihrer Freundin Lisa, hatte und darüber mit Marianne, der Mutter von Lisa, gebrochen hat. Dagegen ist „GZSZ“ ein lahmes Kammerspiel.

Aber halt! Was ist nochmal mit der Komatösen, deren Mann fremdgeht – war das Irene? Oder ist das die Stalkerin, die nächtelang in Mini Coopers vor fremden Häusern herumlungert? Und überhaupt: Wer ist Rita Back? Ab Seite drei verliert der Leser regelmäßig den Überblick über die Ausschweifungen der Grafschen Figuren, und auch das Konsultieren des hinten angehängten Personenregisters gibt nur kurzzeitig Orientierung. Spätestens nach zwanzig Seiten reift dann im Leser die Frage: Mit was für einer geisttötenden Rasselbande hat mich die Autorin in ihrem nun schon fünften Prosawerk zurückgelassen? Schnell ist man der märchenhaft öden Verstrickungen jedenfalls sehr überdrüssig. Die viel kürzere Antwort auf obige Frage lautet demnach: „Die Tage, die Dinge“ bietet wenig mehr als gefühlsbrünstigen Flitterkram.

Vieles in diesem Erzählband, ob Szenenentwurf, Figurenzeichnung oder Dialogführung, ist auf eine so grundsätzliche Weise zum duseligen Klischee verflacht, dass die Lektüre der 193 Seiten einen doch arg anstrengt. Das Geseire der Frauen ist immer schmonzettig, das Gehabe der Männer immer schmierig. Mit jeder Seite erhärtet sich der Eindruck, dass das gesamte Personal einem einzigen Algorithmus folgt: saufen, ficken, streiten. (Freilich variiert die Abfolge dieser Phasen; ab und zu streitet man sich auch erst, um dann gemeinsam ins Bett zu hüpfen.) Hält die Autorin ihre Leser tatsächlich für derart emotionsstumpf, kleinspurig und sehnsuchtsarm, dass sie meint, sie mit etwas derart brutal Banalem abspeisen zu können? Auf Lynns hingehauchte Frage „Woran denkst Du?“ etwa antwortet das Rhetorikass Renato: „Ans Küssen“. Und das Ende der Freundschaft zwischen Colette und Marianne findet seinen Ausdruck in der spektakulären Sentenz: „Was gestern wahr war, schien es heute nicht mehr“.

Nach Jean Backs herausragendem „Zalto mortale“ (hier meine Kritik) ist Linda Grafs Erzählband die zweite Publikation aus der neuen Serie von „Kremart“, der sogenannten „Kanephora“-Reihe. Das überrascht insofern, als Back mit seinen Erzählungen fulminant vorgelegt hat – und Graf mit ihren Erzählungen ebenso fulminant danebenliegt. Es geht grundsätzlich nicht darum, dass sich „Die Tage, die Dinge“ in die tatsächlich sehr erfolgreiche Tradition der Groschenromane und Liebesschnulzen einreiht, sondern darum, dass das gesamte Buch-Package vorgibt, mehr zu sein als Schmalz, nämlich Belletristik. Das ist „Die Tage, die Dinge“ schlechterdings mit keiner Zeile: Linda Graf wird mit ihren auch stilistisch schwunglosen Erzählungen weder der „Komplexität der Conditio humana“ gerecht, noch ist sie eine „Meisterin des menschlich Zwischenmenschlichen“, wie es der Klappentext ankündigt.

In jeder schlecht sortierten Bahnhofsbuchhandlung gibt es günstige Heftromane zuhauf – die Geschichten rund um Bergpfarrer Wohlleben, Tierarzt Dr. Fink oder Baronin von Zutzhausen warten nur darauf, gekauft und verschlungen zu werden. Bloß: Wer hat dann noch irgendeinen, geschweige denn guten Grund, sich den neuen Erzählband von Linda Graf zuzulegen?