Philipp Schönthaler: Portrait des Managers als junger Autor
In der deutschsprachigen Literatur ist der Themenkomplex Wirtschaft immer wieder Gegenstand von Romanen, etwa in „Wenn wir sterben“ (2002) von Ernst-Wilhelm Händler, „Johann Holtrop“ von Rainald Goetz (2012) und „Das bessere Leben“ (2015) von Ulrich Peltzer. Nun trägt der 1976 geborene Philipp Schönthaler in seinem Essay „Portrait des Managers als junger Autor“ zahlreiche soziologische, literaturtheoretische und ideengeschichtliche Überlegungen zum selben Sujet zusammen.
Es geht in dem knapp 160 Seiten umfassenden Essay, der bei Matthes & Seitz erschienen ist, grundsätzlich darum, wie der Manager als exponierter Typus des Neoliberalismus sich selbst und seine Umwelt als eine erzählbare begreift – und verwertet. Hierfür beziehen sich die Wirtschaft und ihr oberster Akolyth auf wissenschaftliche Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte. Ob in der Philosophie, der Psychologie, der Literaturwissenschaft oder der Soziologie – die Ansicht hat sich transdisziplinär gefestigt, dass der Mensch beständig erzählt, um sich selbst zu verstehen und zu verorten. Er ist, um mit Alasdair MacIntyre zu sprechen, „a storytelling animal“. Diese vermeintliche anthropo-narrative Universalie gereicht der Managementkaste zu einem Marketingkonzept: Das sogenannte „Storytelling“ ist geboren.
Schönthaler zeichnet im ersten der drei Kapitel feinsinnig nach, wie die kapitalistische Indienstnahme des Geschichten-Erzählens theoretisch durch die genannten Wissenschaftszweige vorbereitet und in den letzten Jahrzehnten von globalen Unternehmen wie Apple, Pepsi oder Danone entdeckt wurde. Denn: „Facts tell, stories sell.“ Geschichten sprechen Menschen, pardon: Konsumenten emotional an; sie binden sie durch „hohe Identifikations- und Integrationskräfte“ an ein Produkt und garantieren dessen Verkaufserfolg.
Wie genau dieses „Storytelling“ abseits seiner wissenschaftlichen Herkunft und theoretischen Strahlkraft praktisch aussehen kann, das führt Schönthaler nicht vor – und das ist weniger eine Verfehlung seitens des Autors, sondern ist dem Konzept selbst inhärent. Ist nicht der Manager mit seinem teils aberwitzigen Theoriesprech das Paradebeispiel für dieses so diffuse wie suggestive „Storytelling“? Hat er sich nicht selbst im Laufe des letzten Jahrhunderts zum unumgänglichen Meistertypus des Kapitalismus hinauferzählt? Ist er, der durch die Welt jettet und beständig Produktivität pro- und reklamiert, ohne sie selbst zu generieren, nicht die Menschwerdung dieser rhetorisch letztlich hohlen Idee?
Ein rezentes Beispiel: Zu hyperhübschen Landschaften, durch die der neue Mini Countryman kurvt, werden Sprüche eingeblendet: „So viele Pfade“, „so viel BOOOM!“, „so viele Erinnerungen“. Am Ende steht der Slogan: „Draussen hat viel zu erzählen. Der neue Mini Countryman.“
Der Clip veranschaulicht, was das „Storytelling“ leisten kann – und was nicht. Es ist keine narrative Methode, die auf ein Ergebnis abzielt, sondern ein Marketingversprechen, das den Konsumenten in einen Prozess des Sich-mithilfe-eines-Produkts-Erzählens einbindet. Als Versprechen ist es vor allem eins: eine diffuse Behauptung, eine vage Lockung.
Es gelingt Schönthaler nicht, der Schwammigkeit des „Storytellings“ (milderes Wort hierfür: seiner Suggestivkraft) analytisch Herr zu werden. Die Fragerunde geht (leider) weiter: Reicht es, wie beim Spot von Mini, an markanter Stelle die Vokabel „Erzählen“ oder „Story“ fallen zu lassen? Das Konzept „Erzählung“ ist eine Passform, in die sich jegliches Phänomen auf den ersten Blick gut und klug kleiden lässt. Aber es bleibt bis zuletzt unklar, wer wem was erzählt. Überhaupt: Wie zu- bzw. unzuverlässig ist der Erzähler bei derlei „Stories“? Gerade im manipulativen Business rund um Werbemaßnahmen und Marketingscoups hätte ein Rückbezug auf die Narratologie, also die Wissenschaft, die sich mit Formen und Funktionen des Erzählens beschäftigt, gute Dienste leisten können.
Im dritten und mit knapp neunzig Seiten längsten Kapitel lässt Schönthaler dann zwei notorisch unscharfe Begriffe aufeinander los: Kapitalismus und Künstler. Das Ergebnis ist ein Wust an Konstellationen und Konzepten: Ist der Manager nicht auch ein Künstler, weil er Werte schöpft, komplexe Verhältnisse strukturiert und einer Produktionskette vorsteht? Auch anders herum wird ein Schuh daraus: Ist der Autor nicht ein Manager, der sich in Zeiten von Selbstoptimierung und Ego-Vermarktung als entrepreneur culturel zu denken hat? Erlaubt eine story es Politikern und Werbefachleuten, die Menschen mit erfundenen Inhalten in ihren Bann zu schlagen? Und inwiefern ist die Ökonomisierung von Literatur und Autoren zu begrüßen, welche durch Schreibschulen und Creative-Writing-Seminare vorangetrieben wird? Es sind immens weitläufige Fragestellungen, die Schönthaler in der ihm gebotenen Kürze anreißt, ohne sie befriedigend zu durchdringen. Immerhin können dem neugierigen Leser die vielen Anmerkungen und Literaturhinweise am Ende des Buches Anlass sein, sich tiefergehend mit einzelnen Themenbereichen zu beschäftigen.
Der wunde Punkt des „Storytellings“ liegt für mich in der Art, wie die Wirtschaft sich der Literatur, ihrer Verfahren und ihrer Vertreter annimmt, um sie in ihren (profitlüsternen) Dienst zu stellen. Der Autor erkennt und beschreibt diese Dynamik durchaus. Es verwundert aber, dass Schönthaler, der selbst einen Roman sowie einen Erzählband veröffentlicht hat, nicht vehementer für die Literatur eintritt. (Demnächst erscheint sogar bei Matthes & Seitz ein neuer Erzählband von ihm.) Der Kapitalismus, der immer (auch) als ein ausbeuterisches System zu denken ist, schickt sich nämlich an, Funktionsweisen der Literatur an sich zu reißen, das literarische Feld mitsamt seiner Akteure zu ökonomisieren und das Erzählen monofunktional als Marketinginstrument zu pseudo- bzw. entästhetisieren. Und das ist keine Chance zur Erneuerung und Relevanzsteigerung der Literatur, wie Schönthaler es in hoffnungsfroher kapitalistischer Hörigkeit denkt, sondern letztlich eine Gefahr für jene emanzipativen und kritischen Restbestände, welche die Literatur heutzutage hoffnungsärmer, aber stolzer denn je verwaltet.