Jean Krier: Das Ende vom Lied
Er habe auf der bretonischen Île d’Ouessant nicht viel mehr getan, als aufs Meer zu glotzen, zu lesen und zu schreiben. Das teilte Jean Krier seinem Lyrikkollegen Karl Krolow in einem Brief im Februar 1988 mit. Der in Luxemburg geborene Lyriker hatte sich erstmals zwei Jahre zuvor an den von ihm bewunderten Krolow gewandt und um publizistische Vermittlungshilfe gebeten. In den Gedichten, die zuerst in Zeitschriften, ab Mitte der 90er Jahre dann endlich in Buchform erschienen, bilden das Meer und die Landschaft der Bretagne den atmosphärischen Fond:
„Nicht weit genug in Brand u Dornen stark,
so unter schönem Stern. An der Klippe zwar
zurück dies Tuscheln, Muscheln. Voll
Friede die Totmaus, der Mause Tod u
am Markt ein bisschen Sprech Deutsch, viel Stein u gut
frisch Brot. Um still zu leben zu blöd. Und stets
im Ohr das Krachen.“
Das Gedicht mit dem Titel „Il n’y a pas de souci“ ist einer von insgesamt vierzig Texten, die der Kritiker und Herausgeber Michael Braun in einem Auswahlband versammelt hat. Kriers Lyrik ist keine weitläufige, die sich mit jedem der vier zu Lebzeiten veröffentlichten Bücher ein neues Thema oder eine andere Form gegeben hätte. Seit dem Debüt, das 1994 im Kleinverlag „Landpresse“ erschien, waren die bretonischen Inseln der Flecken Erde, von dem aus Krier seine lyrischen Erkundungen unternahm. „Tableaux – Sehstücke“ hieß der zweite Band aus dem Jahr 2002. Der Sprache sollten die Phrasen ausgetrieben, dem rhetorischen Plappern seine Glätte genommen werden. Krier, den Michael Braun im Nachwort als „heiteren Fatalisten“ portraitiert, war zeitlebens auf der Suche nach einem Schreiben, in dem sich vom Dégôut gegenüber einer Welt sprechen lässt, die einem zugleich immer wieder unverhoffte Schönheiten bereitstellt:
„Der Tag all ist dahin, verdorrt das Gras – die Traum
Grenze erreicht. Gestaut ist u voll Feuer u Fisch liegt
der See. Wie schön verschmiert steht die Wand. Wenn
auch die Nacht noch ihre Schatten u Zweifel, dann
könnte man die Hüte sternenhoch u unbeschwert
so der faule Zauber, wo alles ab: Blatt, Kopf u Bein.“
Im September 1995 hatte der bis zu seinem Tod 2013 in Luxemburg lebende Krier dem Publizisten Joachim Sartorius brieflich sein Lyrikverständnis skizziert: „Da diese Wirklichkeit negativ in dem Sinne ist, daß der Friede – und sogar der Traum davon – verweigert wird, daß Harmonie und Befreiung des Subjekts immer weniger möglich sind und Zerstörung und Auflösung herrschen, da dies alles so ist, scheint es mir unmöglich, harmonisch-’schöne‘ Gedichte zu schreiben. […] Inhaltlich und sprachlich geht es also in meinen Versen um die Integration ins Heillose.“
2011 erhielt Jean Krier für seine dritte Veröffentlichung „Herzens Lust Spiele“ den Adelbert-von-Chamisso-Preis. In Luxemburg wurde der im Leipziger „poetenladen“ erschienene Band wiederum mit dem renommierten Prix Servais prämiert. Zu dem Zeitpunkt hatte der 1949 geborene Autor bereits mehrere schwere Herz- und Leber-OPs hinter sich. In dieser letzten Phase lief Jean Kriers nie wirklich junges, immer schon gramversunkenes Œuvre zur Höchstform auf. In den frühen Gedichten mag man noch auf einige steifnackige Verse stoßen – so bemüht, geradezu gierig wird hier in den Abgrund gestarrt, um den tiefsinnigen Blick einzustudieren. Das Spätwerk hingegen ist reifer, ausgelassener in seinem Fatalismus. Die Idee einer „fin de partie“, eines Beckett’schen Endspiels, durchdringt die Verse auf beeindruckende Weise. In Anlehnung an Hölderlins Odenstrophen retten sich die Worte mal trist, mal flink ans Zeilenende, um im nächsten Vers erneut das nicht zu gewinnende Spiel um Bedeutung, Verlust und Abschied zu spielen.
„Gleich wird es regnen, nimm doch die Wäsche herein.
Ich lege die Hände leer in den Schoß u geb dir den Rest.
Ja, so will ich bleiben, so, wie ich bin: ratlos u heiter,
mich bücken, dich beugen – u vergiss auch die letzten
Klammern nicht. Ich ziehe dich aus bis aufs Hemd. Nie
kann ich genug haben von dir. Ich trinke dir zu, komm,
wir tauschen Possessivpronomina aus. Unser Endspiel
ist dies. Wo ist nun das Fleisch, das nackt ging? So ein
Quatsch, dass die Haut nicht vergisst. Für alle Nächte
vorbei. Und immer mehr lieb ich, wie wir weiter wursteln
von Tag zu Tag. Kram, Gries u Gram. Rotzen, schmatzen,
schmarotzen. Schlag mich doch in den Wind, mach mich
an, spül mich weich. Die Strapse für mich, für dich
die schmutzige Wäsche. Verwinde es leicht. Los, zieh
Leine, es regnet. Immer wieder will ich so scheitern mit dir.“
Nur schade, dass der Verlag Kriers starken Formwillen unfreiwillig unterläuft, indem bei ganzen Gedichten die Versenden ob der Seitenenge jeweils eine Zeile nach unten kippen. So zerfällt ein Schriftgebilde, das seine Eindrücklichkeit doch gerade aus einer eigenwilligen Formanstrengung gewinnt. Trotzdem: „Das Ende vom Lied“ lädt uns sieben Jahre nach Jean Kriers Tod ein, dieses große Werk samt seiner zerklüfteten inneren und äußeren Landschaften zu begehen.