PeterLicht: Ja okay, aber
Ein Programmierer, der am besten denken kann, „wenn er auf gerader Strecke in einem dahinschießenden Zug sitzt, am besten bei über 270 Stundenkilometern“. Eine Klassenlehrerin, die an Jeanne d’Arc erinnert: „Sie hält eine Lanze, die ein Rotstift ist.“ Eine Allround-Künstlerin, die Performances organisiert, bei denen „ein Rudel nackter Martial-Arts-Kämpferinnen ein Auto“ vergewaltigt: „Das letzte Auto, mit dem das geschah, war gelb und schwebte an einem Stahlseil. Ein Lamborghini.“ Willkommen im Coworking-Space, willkommen in PeterLichts Hölle.
Durch sie hindurch führt im Tonfall infantilen Scharfsinns ein Erzähler, der namenlos bleibt und ohne klassische Biografie auskommt. Er besucht hier den Büro-Nachbarn, plaudert dort mit dem Architekten in der Schlange vor dem Kaffeestand und kehrt immer wieder zu seiner „ARBEIT“ zurück: „O Gott. Vorankommen setzt ja einen mitunter hohen Kraftaufwand voraus. Ich muss schon sagen. Was muss man für eine ENERGIE reinstecken, für ein richtig schönes VORANKOMMEN.“ Bei ihm vereint sich die Beobachtungsgabe eines Ethnologen mit der Eloquenz und Syntax eines Kindes, dessen Expertise vorrangig darin besteht, unbedarft zu sein: „Nicht nur auf den Fotos, auch auf der Oberfläche des Fotografen setzt sich Patina an. Ich glaube, seine Haut ist etwas matt von den vielen Blitzen. Ich bin ein Freund der Patina.“
Das Ende der Kapitalismuskritik
Ja okay, aber läuft mit dieser Darstellung der New Arbeit, ihrer Sprache, Typen und Orte, recht schnell Gefahr, zum Schaulustigenroman zu werden, zu einem Angebot für die Süffisanten, die danach trachten, sich die eigene Unbeteiligtheit an diesem Spektakel der Buzzwords unter Beweis zu stellen – von der „Continuity des Vorgangs“ bis zum Lob des Kaffees als „Vater aller Dinge“. Schau sie dir bloß an, diese Blindgänger des kreativen Prekariats! Auch wenn das bei PeterLicht so pointiert klingt, wie es bei einem lyrisch begabten Songwriter mit ausgeprägter Beobachtungs- und Ablauschgabe eben klingen kann, führt es doch nirgends hin als ins längst ausgemessene und ziemlich enge Gehege einer etwas angejahrten Kapitalismuskritik. Die kann sich scheins ihrer Schlagkraft nur noch via Späßchen und Spöttelei vergewissern, in leichter Unwürde ergraut mit den Phänomenen, denen sie sich widmet. Kurz gesagt: Haben wir grad keine anderen Probleme als die Lächerlichkeit von Menschen in Coworking-Spaces? Und haben die Leute dort nicht inzwischen auch andere Probleme als Kaffee und Continuity?
Gut also, dass sich Lichts Protagonist am Ende des ersten Teils verliebt, sorry, dass er „IN LOVE“ fällt mit der Allround-Künstlerin aus dem Space. In ihrer Nähe spürt er „eine staubfreie Aura“, in der „die allgemeine Zerbröckelung der Umstände, in der wir uns befinden, nicht stattfinden kann“. Und im Laufe des zweiten Teils sucht ein Freund bei ihm Obdach, der „gerade in einer privaten Megakrise“ steckt.
Schwärm dich frei
Dadurch entsteht eine Wärme in der Erzählhaltung, auch eine Offenheit und Hingabe, die der Roman zu Beginn noch vermissen lässt. Es geht nämlich nicht nur, nicht mal zuallererst darum, „workingbereit“ das Entsetzen über das durchdesignte Leben festzuhalten. Das hätte einen technischen und unangenehm coolen Text hervorgebracht. Nein, es geht um „eine grundsätzliche und lebenstaktische Überlegung“, wie der Erzähler es in einem seiner quasi religiösen Momente bezeichnet, während derer er über seine Lebensführung sinniert: „Es ist warm, ich laufe mit nackten Füßen, der Wind geht mir durch die Kleider, ich bin vollständig allein. Und das sind meine Freunde: die dunklen Flächen. Und das ist meine Hoffnung: die helle Linie am Horizont, aus der heraus verloren helle Punkte ihre Bahnen ziehen. […] Mein Herz ist ruhig.“
Anders gesagt: Es geht um Methoden des Klar- und Entkommens, darum, ein Denken und Schreiben auszubilden, das die Realität samt der Tatsache anerkennt, dass Kritik und artistische Intervention sie nicht grundlegend verändern werden. Innerhalb dieser Trostlosigkeit und Befangenheit doch so etwas wie Glück, Affirmation und Sehnsucht aufrechtzuerhalten, das ist die knifflige Aufgabe. Dieses Programm einer neuen ehrlichen und intensiven Zuneigung zur Umgebung liegt seit einiger Zeit in der Luft. Bei den Einen heißt sie „radikale Zärtlichkeit„, bei den Anderen ist wiederum von „Germanys next Lovestory“ oder „anarchistischen Herzen“ die Rede. Mal wird sie stilisiert, mal politisiert oder kritisiert, in allen Fällen arbeitet sich die junge Gegenwartsliteratur an dem Konzept ab. PeterLicht bringt sie nun in der für ihn typischen Mischung aus Schelmerei, Nonsens und weichmütiger Wortkunst zu Papier.
Immer dasselbe Thema
In diesem Sinne fügt sich Ja okay, aber ein in ein Werk, das sich seit zwei Jahrzehnten dadurch auszeichnet, Melancholie nicht als Rückzugsgefecht zu begreifen, sondern als letzte Bastion wider den Kapitalismus zu zelebrieren. Das gilt auch in Bezug auf Lichts Diskographie, die neun Alben umfasst. Zuletzt erschien im Frühling diesen Jahres Beton und Ibuprofen. „Boote, Gräben, Luftschiffe, Gullideckel, Löcher im Zaun, Fluchttunnel, mögen sie mich nach draußen bringen“, heißt es auf Das Ende der Beschwerde von 2011. „Wir und der unpfändbare Rest unserer Herzen, was sollten wir anders sein als frei?“, singt Licht wiederum 2008 auf Melancholie und Gesellschaft.
Auch das macht seine dritte Buchveröffentlichung deutlich: Wer sich als Chronist einer Wirtschafts- und Lebensform betrachtet, die zwar ihre Gestalt ändert und als Überwachungs-, Kreativ- oder Klima-Kapitalismus auftritt, die aber im Wesenskern unverändert bleibt, der erkauft sich seine Stellung mit der Statik der eigenen Ästhetik. Sie lässt sich lediglich unterschiedlich arrangieren, mal mit Gitarre, mal mit Synthies, mal als Roman, mal als Theaterstück.
Arbeiten und nicht verzweifeln
Das ist aber – wenn überhaupt – ein Problem eines Werks, das sich auf einige wenige Themen konzentriert, kaum eines des vorliegendes Buches. Das hat auf den ersten Blick eins mit einer leisen Unaktualität, aber dass der Text in seiner Fixierung auf den Coworking-Space einen starken Vor-Corona-Touch hat, sollte eher gnädig zur Kenntnis genommen werden. Die Homeoffice-Romane kommen schon noch früh genug.
Entscheidend ist ohnehin etwas anderes: Ja okay, aber führt eine Auffassung von Arbeit vor, die immer leerer wirkt, je mehr Mindsets und Workflows man ihr anhängt. Mit jedem Kaffeeautomatengang, jeder Doku über Männer in der Krise und jeder Prokrastination wächst das Gefühl, an anderer Stelle und unter anderen Vorzeichen ließe es sich besser leben, leichter, heller, gemeinsamer. Es ist eine Suche und eine Flucht, die Erkenntnis, ohne Arbeit nicht zu wissen, wohin mit sich, zugleich das Wunschbild eines Tätigseins, bei dem Arbeit weder gleichbedeutend ist mit Entfremdung noch mit dem Terror der Selbstverwirklichung. Im gleichen Zug zeigt der Roman den irrsinnigen Reiz auf, doch irgendwie diesem Milieu anzugehören und am großen Output teilzunehmen.
„Wärest du ein Pegasus, würden dir an diesen Stellen deines Körpers die Flügel aus den Seiten wachsen“, heißt es in einer der eigensinnig kontemplativen Passagen, die die Ethnografie des Büros regelmäßig ablösen, „aber natürlich bist du keiner und es wachsen dir keine Flügel. Alles, was aus dir erwächst, ist Flügellosigkeit.“ PeterLicht lässt einen in der Misere, die sich als Erfüllung ausgibt, ahnen, wie es sich anfühlte, solch ein Wesen zu sein, während wir tags die Äcker pflügen und nachts von Slack-Channels und Zoom-Meetings träumen.
„Und wir führten Gespräche über unsere Fragen, welche Tiere wir gerne wären, wenn wir mal wieder Tiere wären“, sang er bereits 2001 im Song Safarinachmittag. 20 Jahre später gibt er sich selbst und uns Antwort: alles, wirklich alles, nur bloß keine Arbeitstiere. Denn als solche kommen wir kaum je bei „unseren Fragen“ an.
zuerst erschienen bei: ZEIT Online